Die letzten Monate waren geprägt von Aufrufen zu Eigenverantwortung im Umgang mit der zurzeit unser Leben bestimmenden Pandemie. Bei vielen hat ein innerer Wandel begonnen, der das Bewusstsein wachsen lässt, dass bei Veränderung Prinzipien und innere Haltung gleichermaßen wie Sichtbarkeit und Sichtbarmachung von Wandel betroffen sind.
Innerer Wandel bedingt äußeren Wandel und vice versa
Derartige Veränderungen beeinflussen nicht nur die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit, sondern unterstützen auch dabei, ein umfassendes Verständnis von Führung zu entwickeln: Innerer Wandel bedingt äußeren Wandel und vice versa. Transformative Führung spricht diese Dualität an: Sie setzt Eigen- oder Selbsttransformation im Umgang mit anderen Menschen voraus, welche Arbeit an der inneren Haltung bedeutet, Intentionen hervorbringt, und schließlich entscheidend die Wirkung unserer Handlung mitbestimmt.
„Zwei Menschen können [somit] rein äußerlich genau das Gleiche tun und damit völlig unterschiedliches bewirken,
je nachdem von welchem „inneren Ort“ aus sie handeln“ (Claus Otto Scharmer).
Diese Form der Führung wirkt sich auf die Zusammenarbeit in organisationalem Kontext aus, und erlaubt dank ihres Tiefeneffekts wahrnehmbare Visionen und (selbst)wirksame Leitbilder zu schaffen, woraus Lernende Organisationen (vgl. Peter Senge) entstehen können. Dabei wird vorhandenes Potenzial zur reflektiven (Neu-)Gestaltung organisationaler Strukturen und kollektiver Verhaltensweisen genutzt. Einzelne Beiträge finden wertschätzendes Gehör und schließlich ihren Platz in der Entwicklung einer Organisation.
Komplexes adaptives System
Bezugspunkte stellen die Austauschbeziehungen dar, in welche Organisationen dank ihrer Akteure eingebunden sind. Sie formen ein sog. komplexes adaptives System. Diese zeichnet sich durch Musterbildung aus, welche sich aus der Interaktion der vernetzten Akteure ergibt – siehe Bild. Gegenstand transformativer Führung stellt folglich die integrative Berücksichtigung einer verbindenden Vision und des gestalterischen Wirkens Einzelner dar. Die Beziehungen der Akteure stellen nicht nur den Austausch von Leistungen dar, sondern transportieren auch Intentionen und damit Werte der Sender, die mit den Wertesystemen der Empfänger in Einklang zu bringen sind aber auch gleichzeitig das Wertesystem durch die Interaktion mit anderen prägen. Organisationen operieren damit auf Basis explizit oder implizit transportierter Intentionen und Werte. Diese prägen organisationale Abläufe – Aufgabenerfüllung wird einander bedingende kollektive Interaktionen und individuelle mentale Modelle geprägt.
Bild: Wirkweise eines komplexen adaptiven Systems (nach Human Systems Dynamics Institute (hsd.org))
Bei Transformationsprozessen und deren Führung spielt dieser Umstand eine wesentliche Rolle, und sollten Vorgehensmodelle, Methoden sowie (digitale) Instrumente betreffen. Zwar wird Organisationsentwicklung vernetzter Handlungsträger bzw. Organisationen auf Basis von sich dynamisch entwickelten Interaktionen und Wertesystemen propagiert (Stichwort Agilität, Resilienz, Antifragilität), allerdings methodisch kaum soweit konkretisiert, dass operative Geschäftsprozesse dynamisch gestaltet werden können.
Konstruktive, da operational wirksame transformative Führung von Veränderung erfordert interaktive Instrumente. Sie sollten helfen, Arbeitsprozesse nach formalisierten und informellen Austauschbeziehungen zu analysieren und es Beteiligten ermöglichen, diese (neu) zu gestalten, und dies auch für Externe nachvollziehbar.
Wertebasierter Veränderungsarbeit mit Value Network Analyse
Ein Beispiel für ein derartiges Instrument stellt die subjektorientierte Value Network Analyse dar. Grundlagen bilden die methodischen Interventionen von Verna Allee. Dabei werden die operativen Austauschbeziehungen von Stakeholdern zunächst in Wertenetzen dargestellt. Die darauf aufbauende Beziehungsanalyse zeigt Interaktionsmuster zwischen Handelnden, die für Arbeitsabläufe bedeutsam sind, auf und legt Quellen sowie Senken von Leistungsflüssen offen. Die erhobenen Muster bilden den Ausgangspunkt für die input-orientierte Wirkanalyse und die output-orientierte Analyse zur Wertschaffung. Letztere dient auch dem Erschließen von Gestaltungs- bzw. Verbesserungspotenzial mit der Ausrichtung auf die Handelnden. Dieses Potenzial wird an Interaktionsbeziehungen sichtbar.
Bild: Value Network Analyse, Angebotsprozess im Baunebengewerbe
Die Ergebnisse der Analysen können unmittelbar in subjektorientierte Geschäftsprozessmodelle überführt werden. Deren Vorteil gegenüber bestehenden Ansätzen liegt in der unmittelbaren Ausführbarkeit und damit Erfahrbarkeit aus der Sicht der jeweils beteiligten Stakeholder. Somit unterstützen derartig kombinierte Ansätze Aufgabenträger ebenso wie Verantwortliche bei der Entwicklung von Organisationen, die sich auf wertebasierte Austauschbeziehungen gründet und auf aktive Teilnahme der beteiligten Akteure und Wissensträger ausgerichtet ist. Fallstudien in den Bereichen Digitalisierung von Produktion (Neubauer et al., 2017) und Gesundheit (Stary, 2018) zu diesem Vorgehen belegen die Effektivität und Effizienz derartiger, wertebasierter Veränderungsarbeit.
Damit können die unmittelbar operativ wirksamen Handlungsfelder transformativer Führungsarbeit unterstützt werden: Business Process (Re-Design und Business Network (Re-)Design. Bei ersterem werden wie die Geschäftsprozesse und damit die Art und Weise der Leistungserbringung überarbeitet, und mit Methoden wie subjektorientierter Value Network Analyse damit zusätzliches Potential erschlossen. Damit wird nicht nur die Ressourcennutzung zum Gestaltungsgegenstand, sondern die Wertschöpfung aus Sicht von Kernprozessen.
mehr Wissen, Ressourcen und Wertschöpfung
Business Network (Re-)Design als transformative Führungsaufgabe versucht sichtbare Berührungspunkte im Netzwerk einer Organisation zu schaffen und nutzbar für die Zusammenarbeit in einem erweiterten (Öko-)System zu realisieren. Diese strategische Aufgabe kann ebenfalls aus Wertschöpfungssicht der subjektorientierten Value Network Analyse betrachtet werden und aus der Sicht der Kommunikation und des Datentransfer die Möglichkeiten einer strategischen Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern im Netzwerk operationalisieren. Damit kann Wissen vermehrt werden sowie gegebenenfalls der zur Disposition stehende ein Ressourcenraum vergrößert werden.
Grundlage für weitere transformative Führungsaktivitäten bietet die Möglichkeit der Value Network Analyse, informellen Informationsaustausch zu institutionalisieren. Diese Aktivität anerkennt unterschiedliche Netzwerkkulturen und ‚Sprachen‘, indem offene Interaktionskanäle sichtbar gemacht werden oder neu geschaffen werden. Langfristig können so Akteure aus verschiedenen Netzwerken bei Berührungspunkten einen Austauschprozess in Gang setzen, der eine Repositionierung der eigenen Organisation zur Folge hat.
Bei der sog. Business Scope Redefinition durch transformative Führung, wird überlegt, wie sich Organisationen dank wertschätzender Austauschbeziehungen in wertschöpfende Transaktionen transformieren lässt, indem Leistungsangebote und Geschäftsmodelle aufeinander abgestimmt werden. Die Ausweitung des Leistungsspektrums eines Produktionsbetriebes in Richtung produktspezifische Dienstleistungen (Stichwort Servitization) ist ein typisches Beispiel, das netzwerkübergreifender Führungsarbeit bedarf werden.
Digitalisierung – vom Nutzer zum Gestalter
Digitale Prozesswerkzeuge unterstützen dynamische Organisationsentwicklung durch Prototyping von Prozesslandschaften. Sie erlauben, Szenarien neuartiger Wertschöpfung experimentell zu erschließen. Kommunikation und Informationsaustausch stellen dabei die Grundelemente operativ durchführbarer Prozesse dar. Die Stakeholder werden von Nutzern zu Gestaltern – sie entscheiden, welche Informationen in welcher Qualität und zu welchem Zeitpunkt übermittelt werden müssen, damit Wertschöpfung entsteht und weiterentwickelt werden kann.
Allee, V. The future of knowledge: Increasing prosperity through value networks. Elsevier Science, Burlington, MA, 2003.
Neubauer, M., & Stary, C. S-BPM in the Production Industry: A Stakeholder Approach (p. 232). Springer Nature, 2017.
Kostenfreier Download: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-319-48466-2
Senge, Peter M. Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Schäffer-Poeschl, Stuttgart, 2008
Stary, C. Organisationsentwicklung mithilfe von Wertenetzen und subjekt-orientiertem Geschäftsprozessmanagement. HMD 55, 766–778 (2018). Kostenfreier Download: https://link.springer.com/article/10.1365/s40702-018-0434-6